„Palliative Care“ – einige Gedanken dazu von einem Hausarzt

Für den Mediziner bedeutet das, dass nicht mehr weiter abgeklärt wird, dass die Therapie auf ein Minimum beschränkt wird und vor allem, dass der Patient nicht leiden muss. 

Eigentlich ist „Palliative Care“ nichts Neues, denn früher als die Menschen noch zuhause im Beisein der Angehörigen sterben durften, hat man nichts Anderes gemacht, als den Sterbenden auf seinem letzten Lebensweg zu begleiten und ihm das Sterben möglichst angenehm zu gestalten.

Heute sind wir mit dem Tod überfordert. Wir verdrängen ihn in die Spitäler. Wir haben keine Zeit mehr um uns als Angehörige um unsere Verwandten zu kümmern.
Wer will schon 2 bis 3 Tage rund um die Uhr am Patientenbett sein, wenn unser Angehöriger im Sterben liegt? Wer ist bereit den Anblick über sich ergehen zu lassen, den ein Sterbender bietet, wenn er am Röcheln ist, unruhig atmet und verwirrt ist?

Auch Akut-Spitäler sind mit der Sterbebegleitung überfordert. Sie wollen abklären, therapieren und den Patienten möglichst schnell wieder entlassen, denn Zeit ist schliesslich Geld. Deshalb wurden in den letzten Jahren Bestrebungen unternommen, sogenannte Palliativ-Zentren in Spitälern auf zu bauen, wo besser auf die Bedürfnisse der Patienten und des Behandlungsteams eingegangen werden kann.

In Altersheimen wird „Palliative Care“ seit Jahren tagtäglich angewendet, indem das Behandlungsteam, die Angehörige und der Patient miteinander kommunizieren und versuchen herauszufinden, wie weiter vorgegangen werden soll, d.h. ob weiter abgeklärt werden soll, ob der Patient ins Spital verlegt werden soll, ob Antibiotika verabreicht werden sollen, ob der Patient im Altersheim sterben darf etc. In dieser Situation kann auch eine Patientenverfügung hilfreich sein.

Glücklicherweise befinden wir uns in der Schweiz in einer komfortablen Situation, indem seit Jahrzehnten die passive Sterbehilfe überall in den Spitälern und Altersheimen oder auch beim Hausarzt praktiziert wird. Dies bedeutet meistens, dass grosszügig starke Schmerzmittel (meistens Opiate) verabreicht werden und, dass auf Infusionen und Magensonden verzichtet wird, wenn der Patient nicht mehr trinken und essen kann.

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) macht in ihrer Broschüre auf die Gefahren der Palliative Care aufmerksam. Diese seien, dass sich Palliative Care (PC) auf das Verschreiben von Opiaten beschränkt, dass PC ausschliesslich an Spezialisten delegiert wird, dass PC zum Ersatz von sinnvollen kurativen Optionen wird oder, dass PC aufgrund von ökonomischen Überlegungen zur Vorenthaltung von medizinisch indizierten Massnahmen eingesetzt wird.

Des Weiteren hebt die SAMW im Zusammenhang mit Palliative Care die Würde und die Autonomie des Patienten hervor, welche unbedingt gewahrt bleiben sollen. Entscheidungsprozesse sollen von allen Beteiligten mitgetragen werden. Wesentliche Beschlüsse sollen schriftlich festgehalten werden. Eine offene, adäquate und einfühlsame Kommunikation mit dem Patienten und auf dessen Wunsch mit den Angehörigen seien unerlässlich. Nebst den Ärzten und Pflegenden seien weitere Fachpersonen sowie Freiwillige wichtige Säulen des Betreuungs- und Beziehungsnetzes.

Für eine gute Zusammenarbeit sei die gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung unerlässlich.
Die Verankerung von Palliative Care als Ausbildungsinhalt in der Ausbildung und in der Weiterbildung in den medizinischen Fakultäten und in den Schulen für Pflegeberufe sowie die Förderung der Forschung in allen Bereichen von Palliative Care sollen gefördert werden.

Nicht zuletzt gehört gemäss der SAMW zur Palliative Care der Umgang mit den Verstorbenen. Dieser soll mit der gleichen wertschätzenden Haltung erfolgen wie der Umgang mit Lebenden. Es sollen dabei die sozio-kulturellen und spirituellen Bedürfnisse der betroffenen Personen soweit als möglich berücksichtigt werden. Die Institutionen und ihre Mitarbeitenden sollen den Angehörigen ihrem Bedürfnis entsprechend Raum und Zeit zur Verfügung stellen, um in angemessener Art und Weise Abschied von der verstorbenen Person zu nehmen. Den Angehörigen soll Unterstützung in ihrer Trauer angeboten oder vermittelt werden.

Eine Sedierung (= medikamentöse Beruhigung) am Lebensende darf gemäss SAMW nicht zur Lebensverkürzung eingesetzt werden, nimmt eine solche aber unter Umständen in Kauf. Sie setzt sich dadurch von der aktiven Sterbehilfe ab!

 

Dr. med. Laurent Tschan

Dr. med. Laurent Tschan ist Facharzt für Allgemeine Medizin FMH und seit 2012 im Vorstand der Patientenstelle AG/SO

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