Wie sieht es in Ihrem Medikamentenschrank aus?
Die Ombudsstelle AG/SO für pflegebedürftige Menschen und die Patientenstelle AG/SO werden in verschiedenen Fällen mit dem Thema konfrontiert.
Fragen aus unserem Berateralltag an den Hausarzt Dr. med. Laurent Tschan, Strengelbach:
Eine ältere Dame muss täglich wegen verschiedenen Diagnosen 10 Medikamente einnehmen. Es ging ihr immer schlechter. Aus eigener Initiative hin setzte sie alle Medikamente ab. Der Arzt wies sie auf die Gefahren hin. Der Dame ging es aber nach dem Absetzen der Medikamente zusehends immer wie besser. Der Mix der Medikamente hat sie wahrscheinlich krank gemacht.
Sind Ihnen auch solche Fälle bekannt? Wie kann so eine Situation vermieden werden?
Ich habe das als Hausarzt einmal erlebt. Ob die Medikamente schuld waren, sei dahingestellt. Möglich wäre auch, dass ein zerebrales Ereignis zu einer Verschlechterung geführt hatte.
Es ist so, dass wir als Hausarzt die Medikamente der Patienten immer wieder kontrollieren und nur die wirklich notwendigen Medikamente verordnen, da erfahrungsgemäss die Compliance mit der Anzahl der Medikamente abnimmt. Dies wird bei jeder Konsultation oder bei jedem Besuch gemacht. Programme in der Apotheke und in der Arztpraxis prüfen Interaktionen automatisch. Medikamente sollten nur nach Konsultation des Hausarztes oder der Apotheke abgesetzt respektive in der Dosierung verändert werden. Unverträglichkeiten können natürlich bei jedem Medikament auftreten, vor allem bei einem neu verordneten Medikament.
Zahlreiche Patienten müssen täglich mehrere Medikamente einnehmen, zu verschiedenen Tageszeiten, vor oder nach dem Essen, in unterschiedlichen Dosierungen. Sie sind überfordert und lassen Medikamente weg. Das kann gefährlich sein.
Welche allgemeinen Tipps haben Sie für die Patienten für eine sichere Medikamenteneinnahme?
Ich empfehle bei einer Überforderung eine Bereitstellung der Medikamente durch die Apotheke, die Spitex oder die Angehörigen gemäss Dosierungsplan. Dies kann in Form einer Verblisterung durch die Apotheke stattfinden oder in dem die Medikamente in einer Medikamenten-Box für eine ganze Woche abgefüllt werden.
Ab 1.1.2019 gilt (Beschluss des Bundesrates) eine erleichterte Abgabe von rezeptpflichtigen Arzneimitteln. Unter bestimmten Voraussetzungen dürfen Apotheker verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung abgeben.
Was halten Sie davon? Was sind die Vor- und Nachteile für den Patienten?
Ich finde die Idee gut, solange ganz klar definiert ist, wann und bei welchen Erkrankungen was für Medikamente abgegeben werden können. Dies kann zu einer Entlastung unserer Arztpraxen führen.
Der Vorteil ist, dass die Apotheke leichter zugänglich ist und auch längere Öffnungszeiten hat. Zudem kann die Apotheke gewisse, leichtere Erkrankungen selber behandeln. Natürlich trägt dann die Apotheke die Verantwortung.
Würden Sie eine Selbstdispensation (Abgabe der Medikamente in der Arztpraxis) analog dem Kanton SO u.a.m. begrüssen? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum?
Als Hausarzt muss ich dies natürlich begrüssen, da es für die Patienten eine Erleichterung darstellen würde und die Krankenkassen dabei Geld sparen würden. Natürlich wäre der Aufwand bei uns grösser, da wir grössere Räumlichkeiten und auch mehr Personal benötigen würden. Vom finanziellen her scheint es für die Ärzte nach wie vor lukrativ zu sein. Ich würde eine einheitliche Lösung in allen Kantonen befürworten.
Wer trägt die Verantwortung, wenn mehrere Medikamente, welche an diversen Orten (Arzt, Apotheke, Drogerie, Spital) bezogen und vom Patienten eingenommen werden und es zu einem Schaden kommt?
Jeder Arzt und jede Apotheke, welche ein Medikament verordnet hat, trägt die Verantwortung. Die verordnende Stelle geht aus dem Rezept oder der beschrifteten Medikamenten-Packung hervor
Wie stellt man sicher, dass der Patient in der Apotheke, beim Arzt etc. alle Medikamente angibt, die er einnehmen muss?
Eigentlich liegt die Verantwortung beim Patienten. Natürlich fragen wir bei jeder Konsultation, was für Medikamente der Patient einnimmt. Schwierig wird es bei den OTC-Produkten wie Vitamin-Präparaten oder Phythopräparaten. Auch bei diesen Medikamenten können Interaktionen auftreten (z.B. Johanniskraut-Präparat). Viele solche Produkte können auch Allergien auslösen. Die Erfahrung zeigt, dass der Patient diese Produkte nicht angibt, da er denkt, dass diese unbedenklich sind. Ich habe schon oft erlebt, dass irgendwelche allergische Reaktionen aufgetreten sind und sich erst auf Nachfrage herausgestellt hat, dass der Patient noch ganz viele andere «Alternativ-Medikamente» eingenommen hat, welche er für unbedenklich hielt.
Tipps der Patientenstelle AG/SO:
Wir appellieren an die Eigenverantwortung der Patienten. Besprechen Sie offen mit Ihrem Arzt oder mit dem Apotheker des Vertrauens, welche Medikamente und welche Dosis Sie wirklich einnehmen. Ca. 40% nehmen ihre Medikamente nicht wie verordnet ein. Das verursacht Kosten. Durch fehlende Compliance (Therapietreue) landen bezogene Medikamente nicht selten im Abfall.
Susanna Mattenberger, Beraterin PS